LOB DEM SCHLUCKAUF
Mia Pelenco drückt die Pausentaste

Veröffentlicht in Mut & Liebe, Ausgabe Nr. 45

Manchmal ist es der Baum, den man vor lauter Wäldern nicht mehr sieht. Es sind Wälder voll täglich neuer Schreckensnachrichten. Über die Krisen, die uns gegenwärtig schütteln, aus der Ferne, in der Nähe. Es wird immer mehr. Eigentlich sind wir durch die Pandemie quasi zu Rittern aller Krisen geschlagen worden. Die Welt, das Leben, die Politik aber haben noch mehr auf Lager für unsere gestressten Seelchen.

In der Mailbox und auf Social Media häufen sich Ratschläge und Workshops, wie man diese Zeiten am besten meistert, ruhig bleibt, ganz bei sich selbst. „Liebe Mia, hast Du schon … weißt Du, dass … kennst Du dies?“ Es wird geschrieben über Schmerz, aufgerufen zu Mitmach-Kampagnen, ein Gemeinschaftsgefühl der Überforderung von dieser Gegenwart wird unangenehm beschworen.

Es ist alles schwer auszuhalten. Krieg, Krankheit und Katastrophe. Ein Überdruss an der Wiederkehr solcher Nachrichten macht sich breit. Die Gedanken drehen sich geräuschvoll wie ein Brummkreisel.

Und dann – dann ist er plötzlich da: der Schluckauf. Mitten im Getöse aller lauten Gedanken übernimmt dieser Hicks-Rhythmus schlagartig den Takt. Das Denken fällt plötzlich schwer, da kreist nichts mehr. Alles fokussiert sich auf diesen körperlichen Ausnahmezustand, der quasi die Vorherrschaft ohne Vorankündigung übernommen hat. Auf einmal mittendrin in einer Mini-Krise, in der es einen rüttelt und schüttelt. Natürlich geht das vorüber, versuche ich mich zu beruhigen. Jede Krise, so lese ich nach, hat ihre Phasen: „Schock, Reaktion, Bearbeitung und Neuorientierung. Man stellt sein Gleichgewicht wieder her und kehrt zum ursprünglichen Normalzustand zurück. Und die Krise endet nicht grundsätzlich negativ, sondern sie ist zugleich Chance zur Veränderung.“ Soso, der Schluckauf als Chance? Das klingt spannend und erinnert mich an: „Liebe Mia, wer Sinn sucht, sollte sich mal wieder richtig spüren.“ Okay, ich spüre also sinnvoll.

Der Schluckauf fordert seine ungeteilte Aufmerksamkeit und schickt einen für unbestimmte Zeit in eine Pause von allem anderen. In der Musik gibt es dafür eine schöne Notation: die Fermate. Ein elegant nach oben geschwungener Bogen und darunter mittig ein Punkt. Weder getaktete Pause noch Dreiviertel- noch Sechsachteltakt, sondern eine Pause nach Belieben. Das Ruhezeichen ist auch als „Aushaltezeichen“ bekannt. In der Pause geduldig aushalten, nicht mehr weiterzuspielen, sondern abzuwarten. Dazu musiziert unser Schluckauf ungestört munter weiter, nervt wie eine kleine Triangel, die verbotenerweise in der Stille geschlagen wird. Natürlich nervt das gewaltig. Aber welch Überraschung: auch ärgern hilft nicht.

Für diesen Moment der schluckigen Aussetzer, korrekter: einer Singultus-Attacke wurden wir von klein auf mit vielen guten Ratschlägen überhäuft. Die Luft anhalten, ein Glas Wasser trinken, sich erschrecken lassen, ein Löffel Zucker auf der Zunge kribbelt angeblich alles weg. Wir sind seit Kindheit gut vorbereitet und es kommen weitere Tipps hinzu … sogar ein englischer Spruch „Do you have the hiccup Bill? No, I have the hiccup Jack!“ gesellte sich zum Wortschatz (Danke, Karin!). Der professionelle Rat aber ist, den Schluckauf einfach zu ignorieren. Leicht gesagt, hicks! Denn wenn man hingegen versucht, den Schluckauf zu unterdrücken, hicks, löst man die Verkrampfung nicht, sondern sorgt eher dafür, hicks, dass sie länger anhält. Na gut. Dann denke ich nun ganz verkrampft an andere Dinge. „Liebe Mia, hast Du Dir endlich einen Radiator angeschafft, die Gaspreise werden unbezahlbar, hallo Mia, hast Du Wasser im Vorratskeller oder Dich endlich um eine Taschenlampe gekümmert, der Blackout droht, und was ist mit Konserven?“

Nein. Denn Mia drückt jetzt die Pausentaste, jetzt sofort. Have a break–have a hiccup. Ein schöner großer Bogen mit einem Punkt in der Mitte schwebt über meinem Kopf. Was uns kaum in einer Meditation gelingt: Die Achtsamkeit steigt mit jedem Hickser. Ein Versuch ist es wert. Atme tief ein. 4 Sekunden einatmen, 7 Sekunden die Luft anhalten, 8 Sekunden ausatmen. Das ist Dein eigener Rhythmus. Du nimmst Dich in diesem Moment wahr. Du kannst nichts anderes mehr denken. Du kannst nichts sofort ändern. Lass Deine Gedanken ziehen wie die Wolken am Himmel. Vertraue darauf, dass auch dieser Schlamassel vorübergeht. Fokussiere Dich auf Deinen Atem. Meditation für einen Schluckauf.

Es ist still. War da was? Es ist überstanden, das Gleichgewicht ist wiederhergestellt. Die großen Krisen sind zwar alle noch da, aber sie brummen und kreiseln nicht mehr. Klarer Fall von Neuorientierung. Danke an die Mini-Krise. Nicht nur beim Schluckauf ist es ratsam, einfach mal die Luft anzuhalten!